Digitale Begriffsgeschichte

Die sogenannten 'Digital Humanities' bedienen sich computergestützter Verfahren, um geisteswissenschaftliche Fragen zu bearbeiten. Praktisch alle Geisteswissenschaften haben in den letzten Jahren digitale Subdisziplinen entwickelt, insbesondere die Literaturwissenschaft und die Geschichtswissenschaft. Wie hierfür geeignete Informationssysteme aussehen, ist jedoch  noch weitgehend unbekannt. Dies betrifft sowohl die Anforderungen der Endanwender, als auch die verwendete Technologie und den vollständigen Funktionsumfang der Systeme selbst.
 

In diesem interdisziplinären Seminar, das von Informatikern und Philosophen gemeinsam veranstaltet wird und von Studierenden beider Fachrichtungen belegt werden kann, beschäftigen wir uns mit einem klassischen Anwendungsfall der deutschen Geisteswissenschaft, der Begriffsgeschichte.  Die Begriffsgeschichte, die von Reinhart Koselleck geprägt wurde, geht von der Annahme aus, dass in sprachlichen Äußerungen unbewusst auch emotionale, soziale und ökonomische Inhalte transportiert werden, die historisch interessant sind. So ändert sich z.B. nicht die semantische Bedeutung des Wortes 'Revolution', wohl aber die Art und Weise, wie es gebraucht wird, und damit auch, ob es Befürchtungen oder Hoffnungen ausdrückt, positiv oder negativ belegt ist etc. Dies nehmen die einzelnen Benutzer der Sprache nicht unbedingt wahr, aber historisch informierte Lektüre vieler relevanter Texte durch Fachleute, so die Begriffsgeschichte, macht solche Zusammenhänge dennoch ersichtlich.

Durch Google Books besteht inzwischen Zugriff auf einen beachtlichen Teil der in den letzten Jahrhunderten veröffentlichten Bücher, die darüber hinaus digital 'lesbar' werden (sog. 'Distant Reading'). In Kombination mit einem selbst entwickelten Informationssystem entsteht hierdurch die Möglichkeit, begriffsgeschichtliche Thesen objektiver als bisher möglich zu untersuchen.
 

Das Seminar besteht aus einer Individual- und einer Gruppenphase. Ziel der Individualphase des Seminars ist es die Arbeitsweisen, Möglichkeiten und Anforderungen beider Fachrichtungen für die jeweils andere verständlich darzustellen. In der anschließenden Gruppenphase wird das aktuelle System auf Übereinstimmung mit den zuvor erarbeiteten Erkenntnissen überprüft. Darauf aufbauend werden Änderungen und Erweiterungen vorgeschlagen. Ziel ist es weiterhin, einige Änderungen und Erweiterungen exemplarisch umzusetzen und deren Mehrwert zu verifizieren. Somit simuliert das Seminar aus Informatiksicht einen Entwicklungszyklus von der Anforderungserfassung bis zur Umsetzung und Evaluierung.